Ich sitze an meinem Esstisch und rühre in meinem Kaffee. Ein Stückchen Brot folgt den kreisenden Bewegungen des Löffels in der Suppe und tut so, als ob es ertrinken würde. Schnell will ich es retten, da ist es schon so vollgesogen, dass es in dem Braun verschwindet. Doch mein kräftiges Quirlen bringt es wieder an die Oberfläche. Ich fange es mit dem Löffel auf.
Während ich dieses Spiel meiner Hand beobachte, lasse ich meine Gedanken ziehen.
Gestern bin ich neunzig geworden. Ich habe immer gesagt, dass ich neunzig Jahre alt werde, aber dass ich einmal älter werde, habe ich nicht gedacht.
Vor fünfunddreißig Jahren bin ich in meine Wohnung hier eingezogen. Sie hat einen großen Balkon, auf dem ich schon einiges ausprobiert habe, Rosen züchten, dann versuchte ich es mit Kräutern und Gemüse. Lange hatte ich ein weißes Blumenmeer. In diesem Kleid war mir der Balkon am liebsten. Das Pflanzen habe ich aufgegeben, es ist mir zu mühsam geworden.
Oft saß ich an meinem Balkontisch an meinem Laptop und mein Blick schweifte in die Ferne, hin zum Hausberg meiner Stadt. Dieser Ausblick ist mir über die Jahre lieb geworden. Es verbinden mich viele Erinnerungen mit diesem Berg.
In meiner Wohnung hat sich in den fünfunddreißig Jahren nicht viel geändert. Ich habe alles so belassen, wie ich es beim Einzug eingerichtet habe. Die weißen Möbel sind immer noch so blank wie am Anfang. Und das glatte Beige der Küche glänzt immer noch. Ich habe mich auch besonders um alles gekümmert all die Jahre.
Ich mache alles selbst und brauche noch keine Hilfe. Und das ist mir und war mir immer wichtig, die Selbstständigkeit.
Auch habe ich mit der Technik, so gut es ging, Schritt gehalten. Mit neunzehn Jahren hatte ich meinen ersten Computerkurs, das war 1987, oh ist das lange her.
Heute bin ich stolze Besitzerin eines kleinen Laptops samt Drucker und WLAN-Anbindung, eines iPads, eines Smartphones und eines elektronischen Klaviers, und, ich kann mit diesen Geräten gut umgehen und brauche nur bei gröberen Sachen, wie Festplattentausch, Hilfe, und da hilft mir mein Neffe, der Maschinenbauer.
Einen Blog führe ich auch seit nunmehr fast vierzig Jahren. Dieses Schreiben hat mir viel Freude bereitet. Es haben sich auch einige Bekanntschaften und sogar Freundschaften aus der Kommunikation mit Lesern entwickelt.
Ich habe die letzten fünfunddreißig Jahre allein gelebt. Das ist das Beste, was mir passieren konnte. Ich bin richtig süchtig geworden, nach dem Alleinsein. So war es mir möglich, meinen eigenen Zielen und Sehnsüchten zu folgen. Und da gibt es noch so einige, deren Erfüllung ich noch harre.
Einen Traum habe ich mir bis jetzt noch nicht erfüllt. Ich wollte immer gerne mal Ebbe und Flut sehen an der Nordsee. Diese Reise kam einfach nicht zustande. Vielleicht wird es meine letzte Reise werden.
Ich bedaure nichts in meinem vergangenen Leben. Jede Erfahrung, die ich machte, brachte mich ein Stückchen weiter. Die Entscheidungen, die ich traf, waren zu dem jeweiligen Zeitpunkt richtig, später hätte ich wohl vielleicht manches Mal in derselben Situation anders entschieden.
Viele Menschen haben meinen Weg gesäumt, sind gekommen und wieder gegangen. Geblieben sind wenige und die geblieben sind, das sind echte Freunde, wobei viele schon den irdischen Weg verlassen haben.
Was mir immer Lebenselixier war, war und ist mein Glaube an Gott. Er war mir immer nah und ist es immer noch. Er wird sich an mich erinnern, wenn ich dann mal einschlafe, davon bin ich überzeugt und das liegt nicht mehr weit in der Ferne…
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Ihr Lieben, das ist eine Geschichte, wie ich es mir vorstelle, wie es ist,
wenn ich 90 Jahre alt bin. Ich habe einfach meinen Gedanken freien Lauf gelassen.
Alles Liebe Euch von
Maria
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